Vom Wir zum Ich

Wenn wir uns für die Liebe zu anderen öffnen, fühlen wir uns auf der einen Seite glücklich und verbunden, auf der anderen Seite aber auch schnell verloren oder verletzt.

Der Wunsch nach einer „gesunden“ Partnerschaft oder Beziehung verbindet viele miteinander. Doch nicht selten wird genau diese Verbindung zu einer wahren Herausforderung, die unsere verborgenen Schattenseiten und Ängste zur Tage fördert.

Für die Meisten von uns waren die eigenen Eltern die ersten Vorbilder in punkto Beziehung. Als Kind stehe ich in einer direkten Beziehung zu meiner Mutter und meinem Vater. Bereits dort sammele ich meine ersten Erfahrungen, z.B. wie ich Aufmerksamkeit bekomme. Für manche bedeutete dies vielleicht, sich den Wünschen der Eltern anzupassen, brav zu sein. Für andere war es eher durch Trotz- und Widerstand, durch beleidigt- und ärgerlich sein. Die Möglichkeiten und Methoden sind vielschichtig und oft sehr komplex.

Als Kinder stehen wir in einer existenzieller Abhängigkeit und sind auf die Aufmerksamkeit und Zuneigung anderer angewiesen. Erfahren wir Ablehnung, bleibt uns häufig nicht mehr übrig, als Gefühle wie Ohnmacht, Wut und Trauer zunächst einmal zu schlucken.

Geraten wir als Erwachsene nun in einen Konflikt und diese Gefühle werden erneut ausgelöst, ist es möglich, dass diese alten Gefühle unverhältnismäßig stark aus einem heraus platzen. Die Intensität und Heftigkeit übersteigt meist den angemessenen Rahmen der Situation oder des Streites. Alte Beziehungsmuster und Verletzungen werden getriggert (ausgelöst).

Dies zu erkennen kann ein wichtiger Schritt sein. In einer derartigen Situation die Fähigkeit zu entwickeln, zu differenzieren welches „alte“ Gefühle sind, die mit meinem Gegenüber nichts zu tun haben, schafft eine angemessene Distanz, seinen Partner und sich selber wieder zu spüren. Zwar ist mein Gegenüber Auslöser, jedoch nicht verantwortlich für meine Gefühle.

Wenn es uns gelingt, diese Tatsache zu akzeptieren und die damit verbundenen Gefühle auszuhalten, beginnen wir uns innerlich zu öffnen und selber anzunehmen. Wir haben die Möglichkeit so zu sein, wie wir sind und können aufhören so zu sein, wie wir glauben, sein zu müssen.

Dies heißt jedoch keineswegs in ständiger Harmonie zu sein, sondern viel eher den Mut aufzubringen sich zu zeigen, auch wenn ich mein Gegenüber möglicherweise zunächst damit enttäusche. Ich zeige meine persönliche Grenze und mache mich dadurch spürbarer. Ich übernehme Eigenverantwortung für meine Bedürfnisse.

Je mehr ich meine eigene Grenze wahrnehme, je leichter fällt es mir, meinen eigenen Raum zu halten. Sei es nun im Innern oder im Außen. Negative Gefühle und unangenehme Situationen auszuhalten, im Konflikt zu bleiben, ohne mich zu verspannen oder aus der Situation fortzubewegen ist keine leichte Aufgabe. Vielmehr ist es eine große Leistung dem standzuhalten, die Verantwortung zu übernehmen und nicht nur an sein eigenes Wohlbefinden zu denken. Dadurch öffne ich einen Raum der größer ist, als meine eigenen Bedürfnisse. Ich erkenne mich und mein Gegenüber an, so wie wir sind. 

Eine Partnerschaft ist für mich eine spannende Form der Liebe. Sie bietet uns viele Möglichkeiten der Entwicklung. Wenn wir lernen die Spannung eines Konfliktes auszuhalten, ohne aus dem Kontakt zu geraten, können wir uns bewusster als eigenes Individuum erfahren. Wir können eine Partnerschaft dazu nutzen uns selber besser kennen zu lernen und gemeinsam als Paar eine tiefere Form der Liebe entdecken.